JUDAISTIK
Ein neues Studienfach an der philosophischen Fakultät
Von Johann Maier (1966)
I. Christliche Vorurteile gegen das Studienfach Judaistik
Vor Erörterung der Frage, was Judaistik ist bzw. nicht ist, sei auf einen seltsamen, jedoch wenig beachteten Sachverhalt hingewiesen, auf ein Mißverhältnis, das unsere universitas litterarum (sofern man heute noch davon sprechen kann) bislang kennzeichnet. Während die klassischen Altertumswissenschaften im Rahmen der traditionellen Universitätsdisziplinen einen hoch angesehenen Platz innehatten, blieb die jüdische Komponente, die andere Säule unserer europäischen Kultur, so gut wie unberücksichtigt. Selbst wenn ein guter Teil der jüdischen Komponente 'durch Vermittlung des Christentums wirksam geworden ist, war dies kein einleuchtender Grund für eine derartige Vernachlässigung des Judentums als eigenständiger Größe, zumal der jüdische Beitrag sich ja keineswegs mit Beginn der christlichen Ära erschöpfte, sondern kontinuierlich bis zur Gegenwart fortlebte. Dennoch blieb die Behandlung des Judentums aus dem Bereich der philosophischen Fakultäten so gut wie ganz ausgeschlossen. Die Gründe dafür sind komplexer Natur. Am stärksten wirkte, sich aber zweifellos das christliche Vorurteil aus, das dem Judentum die legitime geschichtliche Existenz absprach, die Geschichte des Judentums (nach Christus) als verfehlte Geschichte, als bedauernswerte oder auch wohlverdiente Folge einer heilsgeschichtlich bedingten Verstockung (von der Masse verstanden als böswillige Verstocktheit) bewertete. Die Erörterung des Judentums rückte so in die Nähe der Satanologie und blieb in diesem Sinn der theologischen Fakultät vorbehalten. Gewiß ist gegenüber dieser wesentlich mittelalterlich bestimmten Sicht (der Verbindung von Unglauben und Dämonie) inzwischen ein Wandel eingetreten. Die alttestamentliche Wissenschaft etwa emanzipierte sich verhältnismäßig rasch vom Zwang dogmatisch bestimmter Schriftdeutung und suchte das Alte Israel von dessen eigenen Voraussetzungen her zu verstehen. Das christliche Vorurteil blieb nichtsdestoweniger da und dort wirksam. Etwa in der Wertskala, nach der man die Einzelphänomene mißt, oder in der Bevorzugung und Vernachlässigung, damit aber auch Verzerrung bestimmter Sachverhalte und Perioden. So wird in der Regel heute noch die "nachexilische" Zeit im Vergleich zur "klassischen" Königszeit (Zeit der großen Propheten) nur nebenbei behandelt. Dennoch ist zu beachten, daß es gerade Alttestamentler waren, die noch in den ersten Jahrzehnten unseres Jahrhunderts sich der Kontinuität zwischen "Altem Israel", Frühjudentum und dem späteren, ja auch heutigen Judentum bewußt waren, wenngleich sich das Interesse auf die talmudisch-rabbinische Literatur konzentrierte. Diese Einengung des Blickfeldes wurde im Rahmen der sog. "Spätjudentumsforschung" (die Bezeichnung "Spätjudentum" allein ist schon symptomatisch!) noch fühlbarer. Nur allzu oft wurden hier die besten Seiten neutestamentlicher Religiosität in unfairer Weise mit den Abnutzungserscheinungen der pharisäisch-rabbinischen Frömmigkeit verglichen und so Schlagworte gewonnen, mit denen man das ganze spätere Judentum abstempelte. Nicht zufällig erwiesen sich die Vertreter dieser neutestamentlichen Hilfsdisziplin als überaus anfällig gegenüber der nationalsozialistischen Rassenideologie. Eher war ein ehrliches Streben nach Verständnis des lebendigen Judentums in jenen Kreisen zu finden, die aus heilsgeschichtlichen Erwägungen am Volk Israel interessiert waren, bei denen die wissenschaftliche Arbeit aber letztlich im Dienst der Mission stand. Keine dieser Formen christlicher Judentumsforschung war darum geeignet, eine reguläre Behandlung des Gegenstandes im Rahmen der Fächer der philosophischen Fakultät zu ersetzen. Dennoch wird selbst heute noch da und dort so etwas wie ein theologischer Monopolanspruch laut, gelegentlich auch bloß in der Form, daß die neue Judaistik als hilfswissenschaftlicher Außenposten der Theologie im Bereich der philosophischen Fakultät angesehen wird. Demgegenüber ist mit Nachdruck festzustellen, daß die Judaistik lediglich ihrem Gegenstand und einer sauberen, kritischen Methode verpflichtet ist und daß es gerade zu ihren wichtigsten Aufgaben gehört, das durch die christliche Heilgeschichtsspekulation so entstellte Bild vom Judentum zu korrigieren. Dies nicht zuletzt auch, weil es doch gerade der Monopolanspruch seitens der Theologie war, der die guten Ansätze zu einer Berücksichtigung der jüdischen Komponente unserer Kultur, wie sie zur Zeit der Renaissance und des Humanismus sich gezeigt haben, zunichte gemacht hat. Von der Aufklärung war in dieser Frage nicht viel Hilfe zu erwarten. Für sie war das Judentum eine - noch dazu ritualgesetzlich überwucherte - Religion, deren Behandlung ohne weiteres der (aufklärerischen) Theologie zugeordnet werden konnte. Deshalb konnte es auch der "Wissenschaft des Judentums" im vorigen Jahrhundert nicht gelingen, im traditionellen akademischen Raum Fuß zu fassen. Als spezifisch jüdische Veranstaltung galt sie als Äußerung einer Religion, der im herkömmlichen Schema der Universität kein Platz zukam, für die man (nach erfolgter Emanzipation) daher allenfalls so etwas wie eine jüdisch-theologische Fakultät hätte neu einführen müssen. Durch diese Diskussionsrichtung wurde der Blick davon abgelenkt, daß das Judentum als geschichtliches Gesamtphänomen ja mehr als nur den Aspekt einer Religion aufweist und daß allein dadurch die Einrichtung einer Disziplin analog den klassischen Altertumswissenschaften, der Romanistik, Anglistik etc. gerechtfertigt gewesen wäre.
II. Plan der Errichtung eines Lehrstuhls für die Wissenschaft des Judentums
Zu Beginn dieses Jahrhunderts wurde zwar die Errichtung einer Lehrkanzel für "Wissenschaft des Judentums" an der Berliner Universität erwogen, doch blieb es beim Plan, da der Ausbruch des ersten Weltkrieges seine Verwirklichung vereitelte. Im Falle der Verwirklichung wäre allerdings eine Definition des neuen Faches vonnöten gewesen. Denn "Wissenschaft des Judentums" war nun einmal Bezeichnung einer von jüdischen Wissenschaftlern geleisteten Arbeit, eine innerjüdische Veranstaltung, und dies selbst noch an der Berliner Hochschule für die "Wissenschaft des Judentums", die sich nicht die Rabbinerausbildung als Zweckbestimmung gesetzt hatte. Ein Vertreter dieser Richtung wäre auf dem geplanten Lehrstuhl vielfacher Mißdeutung ausgesetzt gewesen, nicht nur durch die nicht jüdische Umwelt, sondern durch die verschiedenen jüdischen Parteien selbst. Der Lehrkanzelinhaber wäre nicht bloß als Fachvertreter, sondern auch als Repräsentant des Judentums angesehen worden, womit aber sofort sein innerjüdischer Standpunkt besondere Bedeutung gewinnt. Die Schwierigkeiten, die eine solche Sachlage schon für die Frage der Besetzung des Lehrstuhles mit sich bringt, werden gemeinhin wohl unterschätzt. Demgegenüber ist für einen "judaistischen" Lehrstuhl die persönliche Religions- bzw. Volkszugehörigkeit des Fachvertreters grundsätzlich irrelevant, sofern er nur gewillt ist, seine Disziplin in einer nach wissenschaftlicher Objektivität ausgerichteten Betrachtungsweise zu betreuen. Nun hat ohne jeden Zweifel schon die alte "Wissenschaft des Judentums" eine unermeßliche Leistung von solch "objektiver" Art gezeigt, nur blieb die Auswirkung so gut wie ganz auf den innerjüdischen Bereich begrenzt, weil es sich nicht um die Ergebnisse einer traditionellen akademischen Disziplin handelte und weil man im außerjüdischen Bereich die Arbeit jüdischer Gelehrter zumeist von vornherein als pro domo angelegt und damit als "nicht objektiv" abstempelte.
III. Aufgaben der neuen Judaistik
a) Grundsätzliche Erwägungen
Tatsächlich hat die neue Judaistik insofern einen besseren Zugang zu den Studenten, als sie eben nicht eine wie immer auch bestimmte jüdische Selbstdarstellung ist, sondern ein Fach wie jedes andere historisch-philologische Fach auch. Gerade so schließt die Judaistik eine arge Lücke. Man denke nur daran, wie schwerwiegend die Folgen waren, die sich aus dem Fehlen einer wissenschaftlichen Informationsmöglichkeit über das Judentum ergeben haben, als antisemitische Schlagworte und Vorurteile auch den akademischen Raum überschwemmten. Mit dieser Erwägung wird auch die besondere aktuelle Aufgabe der Judaistik deutlich. Nur sei darauf verwiesen, daß es dabei nicht bloß um die Vermittlung sachlicher Information geht. Das Judentum mit der wechselvollen Geschichte seines Selbstverständnisses und seiner Mißdeutung durch die Umwelt stellt einen hervorragenden Modellfall dar, um menschliche Verständnisbereitschaft und menschliches Verständnisvermögen zu schulen. Ein solches Ziel ist jedoch nur durch Erziehung zu einer strengen, kritischen Arbeitsmethode zu erreichen. Wenn dies hier so betont wird (es mag nämlich als selbstverständlich erscheinen), dann wegen mancher Tendenzen im akademischen Raum von heute. Gelegentlich wird in Frontstellung gegenüber einem (so überhaupt dagewesenen?) positivistischen Historismus die Möglichkeit einer wissenschaftlichen Objektivität so fleißig bestritten, daß als legitime Form des Geschichtsverständnisses oder der Textdeutung nur mehr ein angeblich jenseits der "überholten" Kategorien "objektiv" und "subjektiv" erfolgendes Verstehen gebilligt wird. Gleichgültig, ob es sich dabei um "existentiale Interpretation" oder um irgendeine weltanschaulich oder dogmatisch bestimmte Betrachtungsweise handelt, bedeutet dies nichts anderes als einen salto mortale in einen wissenschaftlichen Dogmatismus oder in eine nachwissenschaftliche Ideologie. Es ist zu fragen, ob dieser "moderne" Windmühlenkampf gegen die "Objektivität" nicht nur das Alibi liefern soll für eine schneckenhafte Introversion auf die existentielle Erfahrung des "Ich" oder für eine Pseudo-Objektivität auf weltanschaulicher oder dogmatischer Basis. Jedenfalls sind die Folgen für die wissenschaftliche Arbeitsmoral verheerend: "Philologie" und bruta facta werden isoliert, mit verächtlicher Geste übergangen, und übrig bleibt allein die Deutung. Deutung ohne Kenntnis kann jedoch kaum zu einem Verständnis des Gegenstandes führen, schon gar nicht zu einem Verständnis des Anderen. Leider wird heute nicht selten in dieser Weise "über" Judentum gesprochen. Wissenschaftliche Arbeit darf sich auch heute noch an der Lessingschen Norm orientieren, daß das Streben nach Wahrheit selbst dem Besitz der Wahrheit vorzuziehen ist. Das heißt in unserem Fall, daß das Streben nach Objektivität nicht deshalb preiszugeben ist, weil eine volle Objektivität nicht erreicht werden kann, und daß es durch keinerlei Form einer Besitzbehauptung (sei es in Gestalt existentieller Erfahrung, weltanschaulicher oder dogmatischer Sätze) gefährdet werden darf, weil nicht nur die Sache, sondern auch die Persönlichkeit des Studierenden dadurch ernstlich gefährdet wird. Wissenschaftliche Deutung beruht auf Kenntnisnahme, auf ständigem Bemühen um neue Quellen und um neue Möglichkeiten der Betrachtung, wird sich daher auch nie im Sinne eines Wahrheitsbesitzes als abschließendes Urteil ausgeben, sondern stets für neue Fragstellungen und für Selbstinfragestellung offen sein. In der Judaistik, wo es kaum ein brutum factum gibt, das nicht schon Gegenstand von Deutung oder Mißdeutung geworden ist, hängt der Studienerfolg in besonderer Weise von der Aneignung einer solchermaßen ausgerichteten wissenschaftlichen Methode ab. Oberflächliche Schwärmerei wäre nicht besser begründet als ein Vorurteil negativer Art und ist letztlich in einer Krisensituation auch wenig beständig. Ideologiekritik an der älteren Generation schafft allein noch kein wirkliches Verständnis etwa für das Judentum, es könnte sich dabei nämlich oft um nicht mehr als um eine vorübergehende Opposition der Jüngeren gegen die Älteren handeln. Judaistik, die in solcher Weise betrieben würde, hätte vielleicht den momentanen Erfolg eines Modefaches, könnte sich aber schwerlich einen Platz innerhalb der Universitätsdisziplinen (d. h. als Studienfach) oder gar die Anerkennung durch Institutionen jüdischer Wissenschaft (wie der Hebräischen Universität Jerusalem und anderer) verdienen.
b) Der konkrete Gegenstand der Judaistik
Nach diesen Abgrenzungen und grundsätzlichen Erwägungen nun die Frage nach dem konkreten Gegenstand der Disziplin. Man könnte in Anlehnung an eine traditionelle jüdische Regel sagen: Gegenstand der Judaistik ist Geschichte, Literatur und Religion des Judentums, wobei als Jude jeder zu gelten hat, der von einer jüdischen Mutter abstammt. Aber diese ethnische Begrenzung führt praktisch schon ins Uferlose. Seit dem 7. Jh. v. Chr. ist das Judentum mit einer Vielfalt von Kulturen in Beziehung getreten und die einzelnen Perioden seiner Geschichte erfordern zu ihrem Studium ganz verschiedenartige Voraussetzungen, nicht zuletzt sprachlicher Art. Wollte man allen Erscheinungen assimilatorischer Art nachgehen, müßte man sich zudem die Frage stellen: Wozu? Es handelt sich meist um Themen, die in der wissenschaftlichen Behandlung der entsprechenden Gastkulturen besser platziert werden als in der Judaistik. Selbst so bleibt das Fachgebiet noch derart umfangreich, daß eine gleichmäßige Betreuung durch eine Lehrkanzel unmöglich ist. Ein einzelner kann niemals leisten, was an den großen jüdischen Hochschulen Dutzende von Spezialisten erarbeiten. Daher ergibt sich die Forderung einer Konzentration auf das Wesentliche, Charakteristische, an dem ein wirklich fundiertes Verständnis sich ausbilden kann. Andrerseits sind jedoch gerade die Randgebiete, die überschneidungsflächen zwischen jüdischer Kultur und jeweiliger Gastkultur, für eine Reihe von herkömmlichen Universitätsdisziplinen von Interesse, insofern sich hier ein weithin noch unerschlossenes Arbeitsfeld gerade auch für Studierende im Nebenfach ergibt. Dieser Nachfrage nach Möglichkeiten einer fachwissenschaftlichen Ergänzung durch das Studium der Judaistik wird man Rechnung tragen müssen, um dem neuen Fach einen festen und selbstverständlichen Platz im Gefüge der Studienfächer zu sichern, vor allem als Nebenfach, da die geringe berufliche Verwertbarkeit eines Studiums im Hauptfach (Dissertationsfach) nicht übersehen werden darf. Nun lauert bei einem solchen Studium im Nebenfach die Gefahr, daß die Studierenden vor allem mit Randerscheinungen und Grenzfällen konfrontiert werden. Damit solche einseitigen Erscheinungen nicht Anlaß zu Pauschalurteilen (genauer: Pauschalvorurteilen) geben, wird es nötig sein, auch von den Studierenden im Nebenfach eine gewisse Übersicht über das geschichtliche Phänomen als Ganzes zu verlangen, vor allem aber für das gewählte Teilgebiet auf möglichst umfassende Quellenkenntnis zu dringen, um die Bildung eines ausgewogenen Urteils zu gewährleisten. Das Studienziel ist demnach ein doppeltes: Ein Gesamtüberblick an Hand eines "roten Fadens", der zum Verständnis auch des heutigen Judentums hinführen soll, und eingehendere Beschäftigung mit einem Teilgebiet, das sich in die Gesamtstudienrichtung des Betreffenden einfügt. Ein solches Ziel läßt sich nur durch straffe Konzentration des Stoffes und durch eine planvolle Quellenauswahl erreichen. Das Problem dabei ist nur, wie man jenen "roten Faden" erhält, der die Kontinuität im wechselhaften Geschick des Judentums, das Eigentliche am Judentum, transparent macht. Vom Blickpunkt einer Gesamtbetrachtung aus ist es in erster Linie die hebräische Literatur, die ein solches Kontinuum vermittelt. Damit sollen Einzelerscheinungen bestimmter Perioden nicht um ihre Bedeutung gebracht werden, aber für das Judentum als Gesamterscheinung bleibt tatsächlich die hebräische Literatur von der Bibel bis zur modernhebräischen Literatur in unvergeßlicher Weise kennzeichnend. Von hier aus erschließt sich nicht bloß der religionsgeschichtliche Bereich in seinem Zentrum, der Blick wird auch auf "profane" Gebiete gelenkt, die bei einer vorwiegend religionswissenschaftlichen Betrachtung allzugern übersehen werden, was dann das Judentum einseitig als religiöse Größe erscheinen läßt. Somit dürfte sich die Kombination eines auf literatur- und religionsgeschichtlicher Basis erfolgenden Überblickstudiums mit einem Spezialstudium auf begrenztem Sektor als bester Weg zur Lösung der beschriebenen Problematik empfehlen. Er trägt einerseits dem Bedürfnis nach einer fachwissenschaftlichen Ergänzung im Nebenfach Rechnung, bietet aber andererseits auch die Möglichkeit, der grundsätzlichen und aktuellen Aufgabe der Judaistik gerecht zu werden.
IV. Abriß der Studienordnung
Abschließend sei noch ein Abriß der Studienordnung gegeben, die voraussichtlich für das Fach "Judaistik" an der Kölner Universität maßgebend sein wird. Es gilt dabei für die Studierbarkeit des Faches, das sowohl stoffmäßig äußerst umfangreich als auch thematisch komplex ist, Sorge zu tragen.
Zunächst sollte eine gewisse thematische Schwerpunktwahl möglich sein, und zwar zwischen drei Studienrichtungen:
1. Philologisch-literaturgeschichtliche Richtung. Hier bietet sich im Nebenfach die Möglichkeit eines
auch rein philologischen Studiums,' geeignet vor allem für die Kombination mit Semitistik, aber auch klassische Philologie u. a.
2. Religions- und geistesgeschichtliche Richtung. Im Nebenfach von besonderer Bedeutung für Theologen, Religionswissenschaftler, nicht zuletzt auch für Philosophiegeschichte.
3. Historisch-soziologische Richtung vor allem als Nebenfach für Studierende historischer Disziplinen. Je nach Wahl der Richtung sind auch die sprachlichen Anforderungen verschieden zu stellen. Nur in wenigen Fällen kann jedoch vom Erlernen des Neuhebräischen dispensiert werden, da es heute nicht mehr zu verantworten ist, die Fachliteratur in dieser Sprache einfach unberücksichtigt zu lassen. Außerdem trägt gerade die Kenntnis des Neuhebräischen nicht wenig zu dem erstrebten Verständnis des Judentums mit bei. Für Studierende im Hauptfach ist ohnehin noch vor Abschluß der Dissertation ein mindestens einjähriger Studienaufenthalt an der Hebräischen Universität oder an einer vergleichbaren Institution (Bar Ilan - Universität, Hebrew Union College in Cincinnati, Jewish Theological Seminary in New York) zu empfehlen.
Nun genügt diese Schwerpunktwahl für das Gesamtstudium noch nicht, um die Studierbarkeit des Stoffes zu gewährleisten. Vor allem für Studierende im Nebenfach müssen sinnvolle Begrenzungen möglich sein. Daher sollen sich die Studierenden für ein bestimmtes Teilgebiet als Spezialgebiet entscheiden, wobei die Perioden der jüdischen Geschichte einen brauchbaren Rahmen für die Abgrenzung liefern:
1. Altisraelitische Periode (Zeit des ersten Tempels und Exil). Sinnvoll nur in Kombination mit einem Fach der Altertumswissenschaft oder Orientalistik. Im Unterschied zur Alttestamentlichen Wissenschaft (der Theologie) wird besonders auf die Kontinuität mit dem späteren Judentum Wert gelegt.
2. Frühjudentum (Zeit des zweiten Tempels). In dieser Periode haben wesentliche Elemente des späteren Judentums sich ausgeprägt. Die Kenntnis dieser Krisenzeit ist umso wichtiger als durch die sog. "Spätjudentumsforschung" einseitige Behauptungen Allgemeingut geworden sind. Vor allem gilt es zu beachten, daß die Entstehung des Christentums für die jüdische Religionsgeschichte keine Wende darstellt, daß es sich vielmehr um eine Randerscheinung handelte. Erst als Staatsreligion und mit den ihr damit zur Verfügung stehenden Machtmitteln ist das Christentum entscheidend in das jüdische Bewußtsein eingetreten.
Diese wie die folgende Periode ergibt (im Nebenfach studiert) auch interessante Arbeitsmöglichkeiten für klassische Philologen.
3. Talmudisch-frühgaonäische Zeit (bis zur arabischen Eroberung). Hier dominiert natürlich literatur- und religionsgeschichtlich das "Meer des Talmuds", bzw. die ganze Fülle der alten rabbinischen Literatur. Zur Korrektur einseitiger Darstellungen durch die "Spätjudentumsforschung" soll hier auch mit Nachdruck auf die Bedeutung der Gebete und frühesten religiösen Poesie als wertvolle Zeugnisse der damaligen Frömmigkeit hingewiesen werden.
4. Das Judentum islamischen Bereich. Ein dankbares Nebenfach für Arabisten bzw. Islamwissenschaftler, z. T. aber auch für andere Fächer (Romanistik).
5. Das Judentum im christlichen Bereich bis 1492. Dabei ist die Trennung vom vorhin erwähnten islamischen Bereich nicht strikt möglich, da in dieser Zeit gerade die Rolle des Judentums als einer kulturvermittelnden Größe hervortritt.
6. Von 1492 (Vertreibung aus Spanien) bis zum Niedergang der
sabbatianischen Bewegung und dem Aufkommen der "Berliner Aufklärung" (Mendelssohn). Die gewaltige innere Krise, der das Judentum des 17. Jh., vorbereitet durch die Mystik von Zefat im 16. Jh., ausgesetzt war, und die verschiedenartige Bewältigung der Enttäuschung ist eines der interessantesten Gebiete der Geistesgeschichte überhaupt.
7. Das Judentum (v. a. im Westen) in der neueren Zeit (von der Aufklärung bis etwa 1918/1933). Die
Aktualität dieses Themenkreises bedarf keiner Betonung.
8. Das Judentum Osteuropas. Mit seinen besonderen sprachlichen Anforderungen (slawische Sprachen, Jiddisch) bildet dies einen Komplex für sich, für Osteuropakundler eine weithin noch völlig unausgewertete Sparte.
9. Das Judentum der neuesten Zeit (seit 1918/1933). Mit Einschluß des Staates Israel und der umfangreichen Literatur in Ivrit (sie wird bei uns bis auf wenige Ausnahmen kaum beachtet). Die Vielfalt der jüdischen Diasporageschichte bietet ferner in besonders gelagerten Einzelfällen noch Möglichkeiten genug, im Rahmen dieser Einteilung weitere, v. a. geographische Abgrenzungen vorzunehmen.
V. Notwendigkeit einer Institutsbibliothek
Nach dieser kurzen Übersicht über das Fachgebiet bedarf es keiner weiteren Begründung mehr dafür, daß tatsächlich nur ein Teil davon von einem einzelnen Fachvertreter gebührend versorgt werden kann. So sehr die Lehrveranstaltungen auch darauf angelegt sein sollten, einen möglichst weiten Überblick zu vermitteln, so wichtig ist es andererseits auch, daß der Judaist auf irgendeinem Teilgebiet seines Faches forschend tätig ist und dadurch mit der internationalen Fachwelt in Kontakt bleibt. Die Studierenden werden sich in vielen Einzelfällen daher mit bibliographischen Hinweisen und groben Umrissen zufrieden geben und das Weitere durch Text- und Literaturlektüre erarbeiten müssen. Schon aus diesem Grund bedarf es einer gut ausgestatteten Institutsbibliothek. Nach den Zerstörungen der Vergangenheit ist es nicht leicht, das einst hierzulande so reichlich vorhandene Material zu beschaffen. Und wenn es noch irgendwo angeboten wird, so zu hohen Preisen. Der Umfang des Fachgebietes und die Bedeutung einer zuverlässigen Informationsmöglichkeit in diesem besonderen, durch die geschichtlichen Ereignisse der jüngeren Vergangenheit geprägten Fach, gestattet nicht den Vergleich mit dem finanziellen Bedarf einer sonstigen Disziplin. Ohne weitere Beiträge, eventuell auch von privater Seite, wird es nicht möglich sein, auch nur den Grundstock einer brauchbaren Studienbibliothek zu beschaffen. Nur ein mit genügend Quellenmaterial und Fachliteratur ausgestattetes judaistisches Institut kann jedoch seiner Aufgabe gerecht werden, ein auf eigener Quellenkenntnis erarbeitetes, geschichtlich fundiertes Verständnis des Judentums zu vermitteln.